Ein ausländisch klingender Name, unbezahlte Praktika, keine Connections und fehlender akademischer Background: In Österreich ist der Einstieg in die Medienbranche besonders für Arbeiter:innenkinder schwierig – vor allem, wenn sie Migrationshintergrund haben. Migrantische Arbeiter:innenkinder erzählen über den Einstieg in den Journalismus.
„Traurig aber wahr: Universitäten kannte ich teilweise noch als Jugendliche hauptsächlich aus US-Serien wie „Gilmore Girls““, erzählt die 26-jährige Šemsa. Sie ist Arbeiter:innenkind und hat nordmazedonischen Migrationshintergrund. Die Entscheidung, Publizistik zu studieren traf sie kurz vor ihrer Matura. Durch eine Internetrecherche fand sie das Studium, das sie im Herbst begann. Šemsa hätte nicht gedacht, dass sie es einmal auf die Uni schafft, schließlich war sie die Erste in ihrer Familie.
„Als Kind habe ich Studieren nicht einmal gedanklich in Erwägung gezogen, so derart unrealistisch hat das Ganze auf mich gewirkt. Ich kann mich erinnern, dass ich im Volkschulalter davon überzeugt war, später im H&M arbeiten zu müssen, obwohl ich eigentlich bereits als Kind das unerklärliche Gefühl hatte, später dann doch in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit zu stehen“, erzählt die Journalistin.
Ich kann Šemsa gut verstehen. Ich bin weiblich, Arbeiter:innenkind und habe Migrationshintergrund. Und wollte immer schon unbedingt „irgendwas mit Medien“ machen. Sieht man sich jedoch Statistiken an, merkt man bald, dass die Anzahl an Journalist:innen mit meinem Background in österreichischen Redaktionen begrenzt ist. Genauso wie in Hochschulen. Ich war die erste in meiner Familie, die die Universität Wien als Studentin betreten hat. Ich hatte keine Ahnung davon, was ECTS sind, wie man sich im Institut zurechtfindet oder was viele der Fremdwörter, die in Vorlesungen genannt wurden, bedeuteten. Ich weiß, dass die Ratlosigkeit im ersten Semester nicht nur Arbeiter:innenkinder mit Migrationshintergrund betrifft aber im Gegensatz zu vielen meiner Studienkolleg:innen haben unterprivilegierte Studierende kein Vorbild in ihrer Familie, sie haben keine Ahnung von der Welt der Akademiker:innen. Wie auch, wenn sie oftmals die ersten in ihrem Freund:innen- und Bekanntenkreis sind, die überhaupt eine Hochschule besuchen?
„Was zum Teufel bedeutet prüfungsimmanent? Ist das eine Krankheit?“
So war es auch bei Šemsa: Obwohl sie durch ihre offene Art schnell Anschluss fand, war sie oft die Einzige mit ihrem Background. Zwar hat sie vor allem in den ersten Semestern durch ihren Ehrgeiz immer gute Noten geschrieben, trotzdem war sie sich lange unsicher, ob sie überhaupt fertig studieren sollte. Im Gegensatz zu ihren Kommiliton:innen fehlte es ihr an viel „Allgemeinwissen“, also Wissen, das sich viele aus ihrem Umfeld und Familien aneignen. Dieses holte sie damit nach, indem sie sich selbst eifrig informierte und dauernd Dokumentationen anschaute. Doch das war nicht der einzige Skill, der ihr als Arbeiter:innenkind fehlte: „Richtiges Socializing lernt man als österreichisches Akademiker:innenkind wahrscheinlich schon mit 5 Jahren bei fancy Dinnerpartys. Definitiv ein Skill, der mir bis heute fehlt“, so Šemsa,
Ihren Eltern war ihre Ausbildung trotzdem sehr wichtig. So unterstützten sie sie auch finanziell, damit sie sich auf Studium konzentrieren konnte.
„Ich glaube, allein mein Name ist beim Bewerbungsprozess schon die erste Hürde“
Durch ein Praktikum beim Wiener Magazin biber erkannte Šemsa, dass der Journalismus ihr trotz allen Zweifeln liegt. Bis heute schreibt sie Artikel für biber. Trotzdem hat sie es in der Medienwelt schwerer als autochthone Österreicher:innen. „Wir wissen alle, dass die Anzahl von Journalist:innen mit Migrationshintergrund erschreckend niedrig ist. Deutsch ist nicht unsere Muttersprache, aber Sprache ist das Werkzeug der Branche und da kommen bei vielen sicher die ersten Zweifel auf. Also werden ein Thomas und eine Lisa eher zum Vorstellungsgespräch eingeladen“, so Šemsa.
Mittlerweile hat sie ihren Magister in Publizistik, studiert zusätzlich Internationale Entwicklung im Master und gibt Jugendlichen mit demselben Background in ihrem Umfeld genau die Tipps, die Akademiker:innenkinder von ihren Eltern bekommen.
Studieren ist ein Mythos für viele Arbeiter:innenkinder
Auch die 27 Jahre alte Merita ist angehende Journalistin und hat als erste in ihrer Familie ein Studium abgeschlossen. Ein Jahr vor ihrer Geburt sind ihre Eltern aus dem Kosovo nach Wien gezogen. Als sie auf die Welt kam, sprachen ihre Eltern und sie kein Deutsch. Die Sprache hat sie durchs Fernsehen gelernt. Schon als Kind schaute sie am liebsten Nachrichten, die österreichische Journalistin Ingrid Thurnherr faszinierte sie besonders.
Einige Jahre später, als Merita gerade dabei war für ihre Matura zu lernen, kam dann die Frage auf, was sie nach der Schule machen will. Studieren war für sie früher kein Thema gewesen, sie hat zuvor nie ernsthaft darüber nachgedacht. Erst nach Gesprächen mit ihren Mitschüler:innen, die auch alle studieren wollten, beschloss sie sich ihnen anzuschließen. Als sie ihren Eltern von ihrem Vorhaben erzählte, waren sie sehr überrascht. Schließlich hat aus ihrer Familie in Österreich niemand anderer studiert. Doch sie waren sehr stolz auf sie und erzählten es sofort ihrer ganzen Verwandtschaft. Die Wahl zu Publizistik traf Merita, genauso wie Šemsa, durch eigene Internetrecherche.
Die Planlosigkeit am Anfang des Studiums erlebte Merita auch. Sie kannte keinen, der ihr am Anfang helfen konnte. „Ich erinnere mich genau, wie oft ich am Anfang bei der Studierendenberatung angerufen habe, einfach weil ich von so vielen Dingen, die für andere selbstverständlich sind, keinen Plan hatte. Ich wusste nicht, was eine Vorlesung ist oder wie gar so ein Bachelorstudium funktionieren sollte“, so die junge Wienerin.
Im Studium selbst versuchte sie schon früh Berufserfahrung zu sammeln, es gelang ihr zuerst jedoch nur an klassische Student:innen-Jobs zu kommen, um ihr Geld zu verdienen. Erst gegen Ende ihres Studiums begann sie mit Praktika. Diese waren meist so schlecht bezahlt, dass sie unter der Woche in ihrem Praktikum arbeitete und studierte und samstags nebenbei jobben musste.
„Connections in der Baubranche nützen dir als Publizistikstudentin nichts“
Rückblickend gesehen ist Merita sich sicher, dass sie es in der Medienbranche einfacher hätte, wenn ihre Eltern Akademiker:innen wären. „In der Berufswelt geht es viel um Kontakte und Vitamin B. Als Arbeiter:innen hat man die zum Beispiel in der Baubranche. Das nützt angehenden Journalist:innen wie mir nicht viel“, erzählt sie mir. „Es ist nicht unmöglich als unterprivilegierte Person erfolgreich in der Medienbranche zu werden. Aber es ist auf jeden Fall viel schwerer.“
Mittlerweile hat Merita ihren Magister in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, studiert Internationale Entwicklung im Master und hat es auch geschafft, ihre kleine Schwester zum Studieren zu überzeugen. Darauf ist sie besonders stolz: „In meinen Familien- und Bekanntenkreisen herrscht oft der Mythos, dass Studieren nur etwas für Hochbegabte ist und eine „einfache“ Person es nicht schafft. Doch dem ist nicht so. Und das möchte ich auch Jüngeren mitgeben.“
Außerdem wünscht sich Merita, dass in Schulen über Bildungschancen besser aufgeklärt wird. Schließlich hat nicht jede:r Eltern, die einem Tipps fürs Studium mitgeben können.
Erfolg oft nur glücklicher Zufall
Es gibt Menschen, die das verändern wollen: Die österreichische Journalistin und Autorin Melisa Erkurt schreibt in ihrem Buch „Generation Haram“, dass sie ihren beruflichen Erfolg Glück, harter Arbeit und ihrer Volksschullehrerin, die an sie geglaubt hat, zu verdanken hat. Die Autorin stammt genauso wie ich aus einer Arbeiter:innenfamilie und hat Migrationshintergrund. Damit beschreibt Erkurt genau, wie es vielen anderen Personen mit ähnlichem Background geht. Erkurts Vorschläge zur Verbesserung sind zum Beispiel Ganztagsschulen, die Vermischung von Schüler:innen verschiedener sozialer Klassen und Herkünfte. Sie möchte den Begriff „Brennpunktschule“ am liebsten ganz abschaffen. Außerdem wären mehr Kindergartenjahre laut der Journalistin und Autorin auch ein Lösungsansatz um Bildungsungleichheit Prävention zu bekämpfen. Ähnlich wie ihr geht es auch dem ZiB-Anchorman Armin Wolf. In einem Podcastinterview mit Ali Mahlodji erzählt er immer wieder, dass er seinen beruflichen Erfolg vor allem glücklichen Zufällen zu verdanken hat. Armin Wolf ist Sohn eines Hausmeisters und einer Einzelhändlerin. Aufgewachsen ist Armin Wolf im Innsbrucker Olympia-Dorf, der größten Plattenbau-Siedlung Tirols. Auch ich habe meinen bisherigen Erfolg glücklichen Zufällen und Vorbildern, zu denen ich schon lange hinaufschaue, zu verdanken. Doch nicht jede:m passieren glückliche Zufälle. Nicht jede:r hat Vorbilder. Es kann doch nicht sein, dass die Karriere unterprivilegierter Personen von Glück abhängt? Ich sehe da ein riesiges strukturelles Problem.
Auch wenn ein Hochschulabschluss mittlerweile keine Voraussetzung für einen Job im Journalismus ist, studieren trotzdem viele angehende Journalist:innen. Laut der Statistik Austria schaffen in Österreich rund 37 Prozent aller Arbeiter:innenkinder die Matura, während es bei Akademiker:innenkindern 81 Prozent, also circa das Doppelte sind. Die Schere schließt sich weiter, denn während 67 Prozent aller Akademiker:innenkinder ein Bachelorstudium beginnen, sind es weniger als 22 Prozent der Arbeiter:innenkinder. Je höher auf der akademischen Bildungsleiter, desto kleiner auch die Anzahl an Arbeiter:innenkindern. Obwohl Universitäten und Schulen gratis sind, heißt es noch lange nicht, dass Bildungsgleichheit in Österreich gegeben ist. Studieren zu können ist ein Luxus. Während viele Akademiker:innenkinder von ihren Eltern während ihres Studiums finanziell unterstützt werden, haben einige Arbeiter:innenkinder dieses Privileg nicht und müssen neben ihrem Studium arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt leisten zu können. Unbezahlte Praktika, die einen in der Medienbranche weiterbringen, sind die nächste Hürde.
Ausbeutung bei Praktika ist vor allem in der Medienwelt ein riesiges Problem. Sie öffnen die Schere zwischen Arm und Reich noch mehr und sorgen dafür, dass es sich weniger privilegierte Menschen nicht leisten können, sich in den Journalismus zu integrieren.
Egal welchen sozio-ökonomischen Hintergrund man hat, niemand sollte ausgebeutet werden. Der Unterschied liegt nur darin, dass es meistens dann doch die besser Situierten es sich erlauben können, für wenig Geld journalistische Arbeitserfahrung zu sammeln. Der Kampf in den Journalismus ist lange und schwer und das ist allseits bekannt. Doch nicht jede:r hat dieselben Chancen und Möglichkeiten und das ist ein riesiges Problem. Hier sind vor allem die Politik und das Bildungswesen dran: Diese Strukturen müssen sich verändern. Aber auch wir als Einzelpersonen können etwas bewirken.
Durch Vorbilder aus unseren Reihen wie Šemsa oder Merita, oder auch mich selbst, sehe ich allerdings schon einen Anfang. Wir werden immer mehr. Wir gehen mit Beispiel voran und zeigen diese Problematik auf. Wir machen weiter, damit die nächste Generation an Arbeiter:innenkindern es nicht mehr so schwer hat.