Grafik: Ella Senzenberger

Wir lesen fast täglich Berichte über psychische Gesundheit, Medien versuchen seit Jahrzehnten mentale Erkrankungen zu entstigmatisieren – doch was ist mit den Leuten, die die Berichte schreiben? Warum Journalist:innen vor allem während der Corona-Krise von psychischen Erkrankungen betroffen sind und warum fast niemand darüber redet.

„Es hat damit begonnen, dass ich scheinbar grundlos in der Öffentlichkeit anfing zu weinen oder nachts Panikattacken hatte, die nicht weggingen. Wenn ich schlafen gehen wollte, hatte ich das Gefühl, ich kann nicht atmen.“ Martha* ist junge Redakteurin beim Gesundheitsressort einer niederösterreichischen Zeitung und erkrankte während der Corona-Krise an Angststörungen. 

Es ist März 2020, das Coronavirus verbreitet sich nun auch in Österreich, wir stehen kurz vor dem Lockdown. Langsam schalten alle Büros auf Homeoffice um. Das bedeutet auch für Martha, dass sie jetzt von zuhause aus arbeitet. Der Schminktisch in ihrem WG-Zimmer wird zum Schreibtisch, ihr kleiner Laptop zum Arbeits-PC.

Grafik: Ella Senzenberger

„Es hat keine Gebrauchsanweisung gegeben, ich wusste nicht wie ich damit umgehen soll“, so Martha. 

„Du konntest Woche für Woche zuschauen, wie sich die Redaktion veränderte.“

Der Druck und das Chaos innerhalb ihrer Redaktion steigt, vor allem als der Ressortleiter als Führungskraft nicht mehr da ist. Er war so mit tagesaktueller Berichterstattung beschäftigt, dass das Redaktionsteam sich selbst überlassen wurde. 

Dazu kommt noch die Unsicherheit, seinen Job zu verlieren. Die Geschäftsführung berichtet von Einsparungen, weil immer mehr Anzeigen wegfielen. Es wurde seitdem immer von Kündigungen gesprochen, Marthas Team halbiert sich. „In einer Krise das Wort Kündigung zu hören, macht schon etwas mit dir, weil sie immer etwas finden können, womit sie dich rauswerfen. Leute wurden aus Gründen, die an den Haaren herbeigezogen wurden, gecuttet. Du konntest Woche für Woche zuschauen, wie sich die Redaktion veränderte.“ 

„Corona nur der Auslöser meiner Probleme“ 

Anzeichen für eine Angststörung hatte Martha schon vor Corona, jedoch konnte sie sich bisher Bewältigungsstrategien und Beschäftigungen wie feiern gehen oder mit Freund:innen draußen sein finden, um sich abzulenken. Doch dann kam der Lockdown. Als ihre Strategien dann wegfielen und die Redakteurin neben dem Stress in der Arbeit auch mit ihren Gedanken auf sich alleine gestellt war, fing sie an, alles zu überdenken und fiel erstmals in eine Negativspirale. Corona und der Stress in der Arbeit waren der finale Auslöser für ihre Angststörung. 

„Ich seh’ gerade das Licht am Ende des Tunnels nicht.“

Seit einigen Wochen macht Martha eine Therapie. Sie erzählt, dass sie sehr angeschlagen ist, Suizidgedanken hat, kaum ihre Wohnung verlässt und keinen Appetit hat. Die Journalistin hat das Gefühl, von jedem verlassen und allein gelassen zu werden oder der Berufswelt nicht gerecht zu werden. „Es ist ein riesiges Chaos und ich habe immer Tränen in den Augen. Ich sehe gerade das Licht am Ende des Tunnels nicht.“

Im Homeoffice werden nur Däumchen gedreht?

Auch Aida* trifft die Coronakrise hart. Sie schreibt für ein Wiener Gesundheitsmagazin, ist Ende Zwanzig und litt während des Lockdowns an einer Panikattacke. Als die Coronakrise diesen Frühling begann ernst zu werden, wehrte sich ihr Unternehmen zunächst stark dagegen, sie und ihre Arbeitskolleg:innen ins Homeoffice zu schicken. „Wir können euch nicht alle nach Hause schicken, weil wir dann das Unternehmen ja zumachen können“, erzählte Aida über ihre Geschäftsführung. Als der Lockdown eintrifft und Aidas Firma gesetzlich dazu verpflichtet wird, sie in Homeoffice zu schicken, bessert sich die Situation nicht. Ihre Arbeitstage werden länger als sonst, richtige Pausen gibt es auch nicht, meistens hat sie gerade einmal zwei Minuten Zeit, um sich etwas zu essen zu holen. Die Redakteurin ist konstant müde, auch nachdem sie über zwölf Stunden geschlafen hat. Sie hat jeden Tag Kopfschmerzen, kann sich schwer konzentrieren. „Es war so wie wenn du eine Batterie hast und die konstant leer ist. Und egal, wie oft du das Ladekabel ins Handy reinsteckst, es wird nicht voll“, so Aida. Sie fühlt sich leer und ausgebrannt, zweifelt an sich selbst. 

„Ich hatte das Gefühl, ich sterbe und kann nichts dagegen tun.“ 

Als im März ein Lockdown verhängt wurde, erwartete man von Aida und ihren Arbeitskolleg:innen, mehr zu leisten als normal. Aida schreibt ein Übermaß an Artikeln, Überstunden werden zur Selbstverständlichkeit – „schließlich herrscht eine Pandemie und da muss man halt einstecken“, so ihr Arbeitgeber. 

Aidas Redaktionsteam schrumpfte während der Krise. Jedoch nicht, weil ihre Kolleg:innen gekündigt wurden, sondern weil sie freiwillig ihren Job verlassen haben. „Das hatte nichts mit der Corona-Krise zu tun, sondern damit wie mein Unternehmen darauf reagiert hat und seine Mitarbeiter:innen behandelte“, erzählt sie.

Anfangs hofft die junge Redakteurin, dass es irgendwann besser wird und sie sich nur an die neue Situation gewöhnen muss. Doch als sie eine extreme Migräneattacke und Panikattacke zugleich hat, wird ihr klar, dass es so nicht mehr weitergeht. „Ich habe begonnen aus dem nichts zu weinen, zu hyperventilieren, zu zittern. Meine Hände und Füße waren taub und ich hatte das Gefühl, dass jemand auf meiner Brust sitzt und ich nicht mehr atmen kann. Ich hatte das Gefühl, ich sterbe und kann nichts dagegen tun.“ 

„Die Panikattacke war mein Weckruf“

Diese Attacken waren ein Wake-up call für Aida und sie merkte, dass es nicht nur eine neue Situation ist, an die man sich gewöhnen muss. Sie hat sich vorgenommen, öfter Pausen zu machen, abends alle digitalen Medien wegzulassen und mehr Sport zu machen. Da Aida noch bei ihren Eltern wohnt, bekommt sie von ihrer Familie Beistand und Unterstützung. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm diese Situation für jemanden ist, der alleine wohnt“, meint sie. 

„Ich hatte vor Meetings manchmal das Gefühl, ich muss mich übergeben.“

Agathe* ist freie deutsche Lokaljournalistin, bis Februar war sie acht Jahre lang an eine Redaktion gebunden, kurz vor der Pandemie trennte sie sich aufgrund verschiedener Differenzen. Als der Lockdown verhängt wurde, wurden auch alle ihre Termine gestrichen, was erhebliche finanzielle Auswirkungen auf sie hatte. „Ich habe mir Gedanken zu meinen Problemen gemacht und mir überlegt, wie ich nun am besten handeln kann“, erzählt sie: „Zum Glück habe ich besonders viel Rückhalt von meinem Mann bekommen, der mich in meiner Selbstständigkeit unterstützt hat.“ 

Als sie als freie Journalistin für besagte Redaktion gearbeitet hat, bemerkte sie, wie in den acht Jahren der Druck konstant anstieg und welche Auswirkungen das auf ihre psychische und körperliche Gesundheit hatte. „Ich habe in dieser Zeit fast immer schlecht geschlafen, hatte einen Tinnitus und Panikattacken, vor allem vor wichtigen Terminen. Ich hatte vor Meetings manchmal das Gefühl, ich muss mich übergeben“, so Agathe. 

Das Gespräch habe sie mit der Geschäftsführung ihrer Redaktion öfter gesucht, Verständnis bekam sie nie. „Man sagte mir, ich sei zu sensibel und nahm mich nicht ernst.“ 

Laut Bundesverband Österreichischer Psychologinnen litten 2019 zirka fünf Prozent der Österreicher:innen, also ungefähr 442.000 Menschen an einer schweren mentalen Erkrankung. Die Anzahl der von an psychischen Krankheiten Betroffenen in Österreich lag schätzungsweise bei 1,2 Millionen. Eine SORA Erhebung zeigt, dass sich während des Lockdowns im Frühling 2020 die psychische Gesundheit von 27 Prozent aller Wiener:innen verschlechtert hat.

Nicht Covid ist das Problem, sondern wie mit der Krise umgegangen wird

„Man predigt, dass mehr über mental health gesprochen werden sollte, aber wenn man dann wirklich darüber redet, denken immer alle: Oh shit, du bist eine Baustelle. Du bist zu anstrengend und mit dir will ich nichts zu tun haben“, so Aida. Und das obwohl sie und ihre Arbeitskolleg:innen sich gegenseitig viel Rückhalt gegeben und miteinander geredet haben. Ihre Chefredakteurin hat sich während der Krise öfter nach ihrem Wohlbefinden erkundigt, doch: „Ich wollte mich nicht bei ihr ausheulen, weil ich wusste, dass sie schon genug Stress hatte. Wir waren in dieser Zeit eine so starke Redaktion, dass wir uns gegenseitig nicht enttäuschen wollten“, so Aida. 

„Am Ende des Tages ist Journalismus immer noch ein Ellbogenjob.“

Ähnlich ging es auch Martha. Sie ist mit einer ihrer Arbeitskolleg:innen gut befreundet, zusammen verbringen sie normalerweise ihre Mittags- und Zigarettenpausen und reden über ihre Probleme. Trotzdem könnte sie sich nicht vorstellen offen über ihre Angststörungen zu sprechen. „Am Ende des Tages ist der Journalismus immer noch ein Ellbogenjob, jede:r spielt seine eigenen Spielchen und würde so etwas ausnützen, um mich zu diskreditieren.“ 

Das Problem sehen die Journalistinnen nicht in der Coronakrise, sondern darin, wie ihre Geschäftsführer:innen mit der Krise umgegangen sind. Sie bekommen das Gefühl vermittelt, sie wären jederzeit austauschbar, sollten die Leserzahlen nicht erreicht werden. „Wir sind Menschen, keine Roboter. Jede:r von uns ist etwas Besonderes, jede:r hat seinen eigenen Schreibstil, seine Storys und seine Probleme. Ich würde mir wünschen von meinem Arbeitgeber wertgeschätzt zu werden, vor allem in dieser Extremsituation“, so Aida. 

Natürlich kann man die Schuld dieses strukturellen Problems nicht allen Medienunternehmen in die Schuhe schieben. Denn Fakt ist, dass die Coronakrise wirtschaftlich auch die Medienwelt mitgenommen hat. Man hat Werbepartner:innen verloren, es wurden viele Events und Veranstaltungen abgesagt. Doch der Journalismus schläft nie, vor allem nicht während einer Pandemie, in der es nur so von ungeklärten Fragen wimmelt, die man versucht, medial zu beantworten. 

Warum ein neues System längst überfällig ist

Journalist:innen wie Martha, Agathe oder Aida wünschen sich Veränderung. 

„Bei uns herrscht eine Führungskultur der Angst. Das ist gewollte Angst, die Redaktion ist quasi der Gegner. Als wären wir Redakteur:innen Leute, denen man in den Arsch treten muss“, so Martha: „Was es brauchen würde, wäre eine komplette Umstrukturierung. Man muss seine Ressourcen neu verteilen und schauen, dass jede:r ausgelastet aber nicht überlastet ist.“ Denn Fakt ist – Journalismus ist ein taffer Job. Journalist:innen müssen immer up-to-date bleiben, haben oft keine fixen Arbeitszeiten, denn der Journalismus schläft nie. Viele beschäftigen sich mit Krankheiten, Morden und Ungerechtigkeiten. Das sind alles Geschichten, die einem als Journalist:in, aber auch als Mensch nahegehen. „Ich würde mir außerdem eine psychologische Beratung wünschen“, meint Aida: „Eine neutrale Person, zu der man gehen und mit der man offen über seine Probleme reden kann.“ 

„Bei uns herrscht eine Führungskultur der Angst.“

Die Nachricht der Journalistinnen Agathe, Aida und Martha an die Chef:innen-Etagen ist klar: mehr Empathie, mehr Vertrauen, Ressourcen neu verteilen, Möglichkeiten zu psychologischer Beratung. Der nächste Lockdown und die kommenden Monate werden zeigen, wer bereit ist, diese Verbesserungsvorschläge umzusetzen.

Grafik: Ella Senzenberger

*Martha, Aida und Agathe heißen nicht wirklich so. Die Namen wurden geändert und nähere Infos zu ihnen auf Wunsch anonymisiert. 

4 Fragen an Nicole Siller, Psychologische Beraterin

©Mirjam Reither

Nicole Siller ist diplomierte psychologische Beraterin und führt in Wien ihre Praxis „lebendich“. Sie ist auf Beziehungscoaching und Sexualberatung spezialisiert, hat aber auch als Journalistin ihre eigenen Erfahrungen gesammelt.  

medien-geil: Wann hat man eine Angststörung?

Nicole Siller: Prinzipiell kann so eine Diagnose nur ein:e Psychiater:in stellen. Wenn man jedoch merkt, dass die eigene Angst zu dominant wird und man sich selbst abkapselt, sollte man sich auf jeden Fall psychologische oder psychiatrische Hilfe suchen. Ursachen einer Angststörung sind immer individuell, es ist sehr wichtig herauszufinden, was die Wurzel einer Angststörung ist. Das sollte man jedoch bestenfalls in einer Therapie herausfinden.

Wann hat man eine Panikattacke?

Auch so eine Diagnose kann nur ein:e Psychiater:in stellen. Prinzipiell ist eine Panikattacke eine Situation, in der die Seele überfordert ist. Es ist die Frage, ob der Punkt noch für sich selbst erreicht werden kann, ob diese Spirale alleine gestoppt werden kann oder ob man sagt: „Hilfe, mir wird es gerade zu viel, ich komme da nicht mehr raus.“ (Anm. der Redaktion. Dann müsste man mit professioneller Hilfe und gegebenenfalls Medikation unterstützen.) Leider kann man das nicht immer selbst erkennen. 

Was kann man präventiv tun, um seine psychische Gesundheit zu verbessern?

Ganz wichtig ist eine Selbstfürsorge. Sei es regelmäßige Bewegung, ein gutes soziales Umfeld oder Meditation. Das muss jede:r für sich selbst herausfinden. Wichtig ist es, sich folgende Fragen zu stellen: Wer stärkt mich? Was gibt mir Kraft? Wann komme ich in eine Situation, in der ich wieder ein bisschen erkenne, wo ich gerade stehe? Man muss Verantwortung für sein Wohlbefinden übernehmen. Wenn ich zum Beispiel in einem Flugzeug sitze und es abstürzt muss ich auch zuerst meine Sauerstoffmaske anlegen, bevor ich jemandem anderen helfen kann. Hilfreich kann es auch sein, Gleichgesinnte zu finden und sich mit diesen auszutauschen. Seien es andere Journalist:innen oder verschiedene Netzwerke.

Welchen Tipp würdest angehenden Journalist:innen mitgeben?

Lernt, eure Grenzen ziehen zu können! Sicher möchte man Anerkennung im Unternehmen, aber man muss sich sicher sein, ob man noch am richtigen Weg ist oder ausgebeutet wird. Vor allem in der Medienwelt ist das ein großes Thema, da besonders im Journalismus die Konkurrenz groß ist. Stellt euch selbst die Frage: Wo bekomme ich Anerkennung? Denn Wertschätzung ist sehr wichtig für die Psyche. 

Du bist selbst von einer psychischen Erkrankung betroffen oder kennst jemanden, dem es ähnlich geht wie den Journalistinnen? Wende dich an diese Stellen und vergiss nicht: Du bist nicht alleine und findest einen Ausweg aus deiner Situation!

Österreich:

Telefonseelsorge: 
Telefonnummer: 142, Website: telefonseelsorge.at

Notfallpsychologischer Dienst
Website: www.notfallpsychologie.at

Kriseninterventionszentrum Wien
Website: www.kriseninterventionszentrum.at

Mehr Infos unter: 
https://www.gesundheit.gv.at/service/beratungsstellen/psychische-krankheiten

Deutschland:

Krisentelefon der Telefonseelsorge:
Telefonnummer: 0800-1110111 und 0800-1110222

Beratungshotline Seelische Gesundheit:
Telefonnummer: 0241-8036777

Mehr Infos unter:
https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/psyche-wohlbefinden/hilfe-bei-psychischen-problemen-diese-stellen-koennen-sie-sich

Schweiz:

Dargebotene Hand Telefon:

Telefonnummer: 143

Website: www.143.ch

Wie geht’s dir?

Website: https://www.wie-gehts-dir.ch/de/adressen-und-angebote/ich-suche-unterstuetzung

Mehr Infos unter:

https://www.npg-rsp.ch/de/metanav/an-betroffene-angehoerige-hilfe-suchende.html